Wer Frieden will, muss Frieden vorbereiten!
24. Okt 2022
Die deutsche Sektion der internationalen katholischen
Friedensbewegung pax christi ist der biblischen Friedensbotschaft
verpflichtet. Die pax christi Bewegung nimmt die Botschaft Jesu Christi
ernst und lehnt daher grundsätzlich den Einsatz von Gewalt ab. Auf der
ernsthaften Suche nach Versöhnung und Frieden und nach Wegen der aktiven
Gewaltfreiheit als christlichem Lebensstil (Papst Franziskus) streben
wir einen respektvollen Umgang miteinander an, auch mit denen, innerhalb
und außerhalb von pax christi, die nicht ausschließen wollen, dass es
gewaltvolle, kriegerische Entwicklungen gibt, die zum Schutz von
Menschenleben und zur Verteidigung eines Landes des bewaffneten
Widerstands bedürfen.
Aktive Gewaltfreiheit ist
und bleibt unser Leitimpuls zur Lösung von Konflikten. Deshalb setzen
wir uns mit der Kampagne „Gewaltfrei wirkt“ dafür ein, Menschen in
unserem Umfeld, in Kirchengemeinden und Schulen, in Verbänden und
Gemeinschaften, aber auch in internationalen Beziehungen Wege des
gewaltfreien Handelns aufzuzeigen und zu ermöglichen.
Der
russische Angriffskrieg auf die Ukraine stellt einen eklatanten Bruch
des Völkerrechts dar, der Deutschland, Europa und letztlich die ganze
Welt herausfordert. Er fordert in der Ukraine jeden Tag Todesopfer und
zerstört Lebensgrundlagen, unzählige Menschen werden zur Flucht
gezwungen.
Wir sind in Gedanken und Gebeten bei
den vom Krieg betroffenen Menschen, die furchtbare Monate des Krieges
und des Leidens durchleben. Wir appellieren an die russische Regierung,
die Waffen schweigen zu lassen, den diplomatischen Weg einzuschlagen und
sich aus der Ukraine zurückzuziehen. Wir appellieren an die ukrainische
Regierung, sich für diplomatische Verhandlungen zu öffnen.
Wir
sehen, dass auch dieser Krieg Vorgeschichten hat: Teil der
Vorgeschichte ist die Entwicklung der Ukraine nach der Unabhängigkeit
1991 und die Auseinandersetzung mit panrussischen Bestrebungen
russischer Politik gegenüber der Ukraine. Ebenso Teil der Vorgeschichte
dieses Konflikts sind die Erweiterung der NATO bis an die russische
Grenze und Militärmanöver auf beiden Seiten. Ohne den Blick auf die
komplexe Vergangenheit und den Verlust an Vertrauen ist eine Bewertung
des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine nicht möglich, was die
Gestaltung einer friedlichen Zukunft behindert.
Dieser
Krieg muss beendet werden, denn er schwächt die ganze Welt. Er
verursacht Hungerkrisen in von Lebensmittelversorgung abhängigen Ländern
und Teuerungen, die zu sozialen Spannungen führen. Er fördert Flucht
und Migration mit all den traumatischen Auswirkungen auf die
Betroffenen. Er führt zu Energieknappheit und so zu einer Rückkehr
zu fossilen Brennstoffen und Atomenergie mit fatalen Folgen für Umwelt
und Sicherheit. Er befördert einen weltweiten Militarisierungsschub und
beschleunigt die globale Klimakatastrophe.
Friedensethisches Dilemma
Friedensethisch
konfrontiert dieser Krieg uns mit den Dilemmata des Einsatzes von
Gewalt. Auch in der pax christi-Bewegung gibt es dazu unterschiedliche
Analysen und Meinungen. Selbstverteidigungsrecht der Ukraine
einerseits und das grundsätzliche Nein zum Einsatz von militärischer
Gewalt bei gleichzeitiger Unterstützung mit zivilen Mitteln
andererseits. In pax christi wird dieses Dilemma aktuell im
Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine aus guten Gründen plural hin
auf das konkrete politische Handeln interpretiert: Viele in pax christi
halten mit Blick auf die langfristigen Folgen und grundlegenden
theologisch-spirituellen Überlegungen an der Option für Gewaltfreiheit
fest; in pax christi gibt es auch die Option, auf
Solidaritätsanforderungen aus der Ukraine neben zivilen Hilfen auch mit
Waffenlieferungen zur Verteidigung zu reagieren.
pax
christi ist sich jedoch einig darin, im Glauben an die
Friedensbotschaft Jesu Christi an der Seite derer zu stehen, die in
einen Krieg verwickelt worden sind und sucht nach Wegen, Frieden und
Versöhnung zu finden. Deswegen verdient jeder Mensch Schutz vor
militärischer Gewalt.
Einig ist sich pax
christi auch, dass ein sofortiger Waffenstillstand gefordert ist, um
diplomatische und zivile Klärungsprozesse beginnen zu können.
pax christi setzt sich dafür ein, jetzt den Frieden im Krieg vorzubereiten.
Dazu gehört für die pax christi-Delegiertenversammlung:
- Sich nicht an Kriege und Gewalt zu gewöhnen, weder in der Ukraine noch an die vielen anderen Kriege weltweit.
- Kontakte zu zivilen Organisationen auf beiden Seiten aufrechtzuerhalten, zu pflegen oder zu initiieren; ebenso Kontakte auf persönlicher Ebene nicht abreißen zu lassen.
- Wir sehen es als Aufgabe von Politiker:innen, Kirchenvertreter:innen oder anderen Personen des öffentlichen Lebens an, den Dialog mit allen denkbaren Partner:innen mit Hartnäckigkeit und Geduld zu suchen und zu führen und Gesprächskanäle auf allen Ebenen offen zu halten oder zu öffnen.
- In Diplomatie und Verhandlungen die Sichtweisen aller Konfliktparteien wahrzunehmen, kritisch zu hinterfragen und keine Feindbilder aufzubauen oder zu verstärken.
- Plattformen für Verhandlungen sind vorrangig die Vereinten Nationen und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
- Die öffentliche Debatte aus der militärischen Engführung herauszuholen und die vielfachen Möglichkeiten gewaltfreien und deeskalierenden Handelns bekannt zu machen. Es ist die Verantwortung der Medien, solchen Themen und der Forderung nach Einstellung der Waffenlieferungen Raum zu geben.
- Ressourcen für zivile Konfliktbearbeitung und für Ausbildung in gewaltfreiem Widerstand und sozialer Verteidigung sollten in viel größerem Umfang bereitgestellt werden.
- Menschenrechte und das Völkerrecht müssen von allen politischen und wirtschaftlichen Akteuren geachtet werden.
- Alle Menschen beider Seiten, die sich dem Krieg entziehen möchten, den Kriegsdienst oder den Kriegseinwirkungen, sollen für die Dauer ihrer Gefährdung in Deutschland Aufnahme finden.
- Mit Blick auf das wachsende atomare Kriegsrisiko sollte die NATO ihre atomare Erstschlagoption aussetzen, um den russischen Sicherheitsbedürfnissen entgegen zu kommen.
- Die Umsetzung des Atomwaffenverbotsvertrages weiter mit Nachdruck zu befördern.
- Die Einrichtung entmilitarisierter Zonen zu befördern.
- Exit-Strategien für die Wirtschaftssanktionen zu entwickeln, z.B. im Falle eines Waffenstillstands.
Es
ist notwendig, dass nicht in militärischen Kategorien, in Kategorien
von Sieger und Verlierer, gedacht wird. Erforderlich ist eine kluge,
alle Ebenen und Kanäle einbeziehende Krisendiplomatie, die den
beteiligten Parteien einen gesichtswahrenden Ausstieg aus den
Kriegshandlungen ermöglicht.
Wer Frieden will, muss diesen vorbereiten und Grundlagen dafür schaffen, dass Frieden entstehen und wachsen kann.
Die pax christi Bewegung sieht dies als Aufgabe und Herausforderung für alle Christ:innen und Menschen guten Willens an.
Beschluss der pax christi-Delegiertenversammlung am 23.10.2022 in Fulda